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Eröffnungsrede von Ruppe Kosseleck zu:

15:03 von Halil Shalabi und Moshe Rosenfeld


Ein solch unseliges Datum wie heute zu solch unseliger Uhrzeit mit Kunst zu begehen, bedeutet einem weiteren Gedenken beizuwohnen – nachdem in ungezählten Schweigeminuten dem Ereignis gedacht wurde und nachdem in ebenso ungezählten Diskussionsforen dem Geschehen verbale Rechnung getragen wurde und nachdem in einer unveröffentlichten Anzahl an abgeworfender Sprengmasse ein jeder Turm auf seine Weise gerächt wurde reiht sich dies heutige Ereignis in den Reigen des Nach- und oder Seitdems ein.

Der Zusammensturz der Twin Tower begrüßte uns - als eine denkbar schlechte Einführung in die alten politischen Gepflogenheiten - im neuen Jahrtausend. Er verabschiedete damit zugleich das alte Jahrhundert oder –tausend mit seinen unrühmlichen Verbrechen und Kriegen und seinen rühmlichen Schlachten auf eine pervers adäquate Weise. Der Einsturz der Türme bewirkte den vieltausendfachen Tod von Menschen und war zugleich die Geburt eines neuen Symbols.

Als ein weltveränderndes, jahrtausenderöffnendes Ereignis wird dieser Sturz gelesen und gesendet. Medial verfeuertes und permanent redupliziertes, und damit unewig erneuertes, gefeiertes ....erstmalig einjähriges Einstürzen... Ohnmächtige Opfer, terroristische Tote schaffen zugleich supermächtige Legitimationen für eine ewig neue Weltordnung banales beileidiges und beleidigendes Gestammel entsteht immer gegenüber den Opfern, die ihrerseits mehr und mehr zum Instrumentarium anderer abweichender kriegerischer Vorhaben werden....

Halil Shalabi und Moshe Rosenfeldt reflektieren den 11. September als eines der erfolgreichsten Bild/Medienereignisse.

Weder sollte Trauer den Verstand zudecken, noch der Verstand die Trauer zuschütten. Doch das der Verstand diese Trauer adäquat zu erinnern lagens sei, ist eine Hoffnung, der weder Shalabi noch Rosenfeldt anhängen.....

Obgleich der eine jüdisch-israelischer und der andere palästinensischer Herkunft ist, thematisieren die beiden nicht das gemeinsame Vater- und Mutterland ihrer Eltern. Allein die Tatsache, dass sie hier heute gemeinsam ausstellen, ist schon Politikum genug und weckt Assoziationen, von denen die beiden gelernten Soziologen profitieren.

Warum solche Sätze auf einer Kunstausstellung? Wo soll da Kunst sein und was hat sie dort zu suchen....

Und weiter sollte man die Politik nach der 11. Dokumenta wieder aus der Kunst vertreiben?

Halil Shalabi untersucht in seiner Eigenschaft als Soziologe die Ikonographie der politischen Ästhetik und tritt ein bis zwei mal jährlich mit künstlerischen Projekten an die Öffentlichkeit. Während er in wenigen Stunden in München eine Plakatausstellung im historischen Institut eröffnet, bleibt mir aus künstlerischer Sicht die Aufgabe, über seine 11. September Arbeit zu referiern.

Die Twin Tower mutieren bei Shalabi zu – wie er sich ausdrückt - doppelten Zensurstäben.

Vier alte Fernseher stehen auf einem alten Tisch. Vier Programme strahlen das aktuelle Geschehen aus. Furcht und Erinnerung und mögliche Bedrohungsszenarien, -analysen belästigen in Form medialer aktueller Bildwirklichkeiten den Ausstellungsbesucher. Diese seltsame angespannte Erwartung wird mit dem Titel 15.03 (dem europäischen Zeitpunkt des zweiten Flugzeugs auf den zweiten Towers) erhöht. Die beiden Zensurbalken kleben lapidar und wahr auf den Flimmerkisten.

Sie kleben auf alten Fernsehern und prophezeien das Wiederauftauchen der besagten Bilder um 15UHR03 herum. Als wir gestern nacht diese Fernseher aufbauten, tauchten in allen vier Programmen zu unterschiedlichsten Zeiten, die Zwillingstürme, Flugzeuge oder Kriegsszenen auf. Bärtige Terroristen traten hinter den Fassaden auf – Angehörige und Opfer weinten – eine Mischung aus politischer Propaganda und seriöser journalistischer Reporterarbeit......

Das aktuelle Programm wird übertüncht – aber die Tower bleiben stehen. Als ein mediales Memorial für die Opfer des Verbrechens. Die schwarzen rechteckigen Flecken erinnern symbolisch an das gefalleneSymbol der verwundbaren Supermacht.

Kein Blick kann an ihnen vorbei und zugleich verstellen sie eben als Zensurbalken den Blick auf das aktuelle Geschehen.

Shalabi wählt aus ästhetischen und inhaltlichen Gründen ein schwarz weisses (und vom Empfang her kriseliges) Fernsehbild aus. Der schlechte Empfang steht auch für unvollständige und blickverstellende Sendung/ Berichterstattung.

Welcher Sender würde die Angehörigen der aphganischen Opfer befragen? Wieviele Tote zählte Kabul?

Inhaltlich wie ästhetisch erkennt man schnell den soziologischen Background von Shalabi – Kunst ist für ihn ein wissenschaftlich legitimiertes Propagandainstumentarium seiner eigenen Thesen.

Als forschender Ikonograph kann er es sich – wie er sagt – einfach nicht erlauben, auf die Chancen angewandter Thesenbildung im bildenden Gewerbe zu verzichten.

Als streitbarer Gast glänzt er heute leider mit Abwesenheit, weil er wichtigeres in München zu eröffnen hat. Das allerdings ermöglicht uns, im Anschluss an diese Rede, befreiter zu lästern und auf Rücksichten persönlicher Natur zu verzichten.

Trotz dieser politischen Interventionen in die Kunst, möchte ich dies mediale Memorial verteidigen als eine zwar angewandte-illustierende Arbeit aber dennoch als ein seltsam real-prophetisches Experiment. Seine Prophezeiungen treffen fast zwangsläufig zu. Die Zensur bleibt dabei als ein permantes Nachbild des gestrigen Geschehens stehen. Dass wir uns aktuell in der Chronik eines weiteren angekündigten Krieges – diesmal gegen den anderen Superschurken Hussein – befinden, ist quasi im sichtbar gebliebenen Gestern seines hoffnungsfreien Memmorials schon angelegt.

Anders opperiert Moshe Rosenfeldt. Thematisch ging es ihm ebenso um den 11. Sep. 02. Doch bei seinen Überlegungen bleibt schließlich etwas zurück,welches immer weit über das politisch-ästhetisch-ikonographische hinausgeht. Von Hause her ist auch er soziologisch und politologisch geprägt. Er akzeptiert aber grundsätzlich die Autonomie des Kunstwerkes und instrumentalisiert nur partiell und niemals ausschließlich. Kennengelernt habe ich Ihn nach seiner Performance vor dem KADEWE in Berlin. Hier begann er seine Vogel-Zähl-Werke. Er stand einen ganzen Tag im Eingang vor dem Kaufhaus und tickte sich für jeden Besucher einmal an die Stirn. Abends hatte er ein rechtseitiges Hämatom, welches als ein selbstverschuldetes Stigma Ihm für viele Wochen zu Gesichte stand. Anschließend mußte er qua physischer Auffälligkeit stets Rede und Antwort stehen.

Mit seinen sehr geringfügigen Eingriffen in den Ausstellungsraum – zwei Föne hängen von der Decken herab und springen nach einem definierten Rhythmus mal an und mal aus – versucht er sehr zurückhaltend an den 11. Sep. zu erinnern. Man fühlt sich an Flugzeugdüsen erinnern – hört ein Rauschen, das vielleicht dem gleicht, wenn man im Flieger sitzt – Die Föne fliegen unkontrolliert und auf Herzhöhe durch den Raum. Sie hängen an iherer eigenen Stromversorgung. Sie werden im Laufe der Zeit ihre Kabel durch Abreibung abstossen und irgendwann dann zu Boden stürzen....

Alles mögliche Interpretationen in der Nähe zu den Ereignissen des 11. Sept.s

aber – und das unterscheidet ihn fundamental von seinem Wissenschaftskollegen – Moshe Rosenfeldt will Bilder produzieren, die Ihre Absicht nicht nur überdauern, die Ihre Absicht übersteigen, kurz die autonom und im kreativen Sinne anarchistisch und frei im Kunstraum die Aktualität des Anlasses überleben werden.

In Schärfe gefasst trifft heute ein freie Absicht auf eine absichtsvolle Freiheit.

Das Memorial bleibt an die Fesseln des ewig aktuell politischen gebunden – und erreicht das Kriterium, als Kunst durchzugehen, nur durch seinen experimentellen Charakter. Das parasitäre Verhältinis zur Absicht wie zum Ereignis wird im geeigneten Moment mit der Intention des beabsichtigen Zufalls zu einer sonderbaren Medienwirklichkeit und manchmal damit auch so etwas wie Kunst.

Moshe Rosenfeldts freie Absicht löst sich aus seinem Begründungszusammenhang von den Septemberverbrechen und bedarf keiner weiteren Worte.


Ruppe Koselleck


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