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Anja Kreysing

"Innenansichten vom ruhenden Verkehr"

Austellungsdauer: 7.3. - 6.4.2003



„Nehmen Sie Platz und spüren Sie Ihren ganz eigenen „Innenansichten vom ruhenden Verkehr“ nach!“, dazu forderte die Audio-Installation Anja Kreysings implizit auf. Die Installation bot nicht nur Gelegenheit, sie zu betrachten – besser noch: ihr zu lauschen –, sondern lud ein, sich direkt in sie hineinzubegeben und somit mehr als ein schlichter Besucher zu sein: nämlich ein Teil des Gesamtarrangements.

Ein Brummen, ein Türeschlagen,... – mal leiser, mal lauter ertönten Geräusche aus versteckten Bo-xen. Dabei handelte es sich um Aufnahmen, die an einem so genannten – nach Anja Kreysings Verständnis – Nicht-Ort oder Unort entstanden sind.

Was geschieht um mein geparktes Auto herum in der Zeit, in der die Fahrerin oder der Fahrer selbst abwesend ist? Dieser Frage gingen Kreysings Aufnahmen nach. Das geparkte Auto als Ort der Abwesenheit und der prinzipiellen Austauschbarkeit – also vielmehr als Nicht-Ort? Das war Ausgangspunkt des carrecording. Und was geschieht, wenn die Ergebnisse eines solchen akustischen Voyerismus verschoben werden? Von dem Nicht-Ort Auto hin in Wohnzimmer, einen von Privatsphäre geprägten Ort? Der Besucher war aufgefordert, dies herauszufinden. In der guten Stube forcierte die Vielfalt der von Stille und Lautstärke, von Bass- und Höhenfrequenzen durchsetzten Geräuschkulisse das Vorstellungsvermögen und die Fantasie des Zuhörers, sich die als „Innenansichten“ titulierten Ausblicke selbst auszumalen.

Als Teil eines nur scheinbar privaten, individuell abgestimmten Interieurs – bestehend aus einer Sitzgarnitur und einem Couchtisch, nicht zu vergessen die Bilder an der Wand, deren Individualität beinahe ironisch konterkariert wurde – fand sich der Besucher in einem deutlichen, europäischen – vielleicht sogar globalen? – Einrichtungsstandard wieder. Mit diesem Standard-Wohnzimmer, mit dem sich Einrichtungshäuser eben auf die Masse ausrichten, nivellierte sich die zunächst assoziierte Individualität. Sowohl der privaten Wohnstube wie auch die des Besuchers, der sich in den eher 'unprivaten‘ öffentlichen Foyerräumlichkeiten, zusätzlich im Schaufenster platzierte..

Die Geräusche aus der Umgebung des Nicht-Ortes Auto verschoben sich folglich nicht an einen Ort, wie man zunächst meinen konnte, sondern die Installation transportierte ihren akustischen Ausblick von einem Nicht-Ort zu einem weiteren Nicht-Ort. Werden x-beliebige Räume oder gar Menschen zu austauschbaren Objekten, wie es die Variable x bereits im Titel der Ausstellung andeutete? Nimmt die Abwesenheit der individuellen Prägung beziehungsweise gar des individuellen Menschen schlechthin zu? Verwandeln sich ehemals von Eigentümlichkeit gekennzeichnete Orte wie Autos oder Wohnzimmer wirklich zu Nicht-Orten, in denen die Spur des Einzelnen mehr und mehr verwischt? Oder verweist der vielleicht vermeintliche Verlust von Individualität nur zurück auf einen ihrer möglichen Ursprünge: das Vorstellungsvermögen? Dann sind die Imaginationen der eigentliche Ort, wohingegen viele andere Orte sich in ausdruckslose Nicht-Orte auflösen. - Die Fantasie der verschiedenen Besucher wird vermutlich mit den spannendsten, detailliertesten und individuellsten Antworten auf die Ausgangsfragen aufgewartet haben.

Hille Schwarze





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