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Frank Bölter

Umbilicus Pulvisculus

Austellungsdauer: 03.12. - 19.12.2004

Eine ganz ungewöhnliche Jahresuntersuchung fand im Jahr 2000 statt, nämlich die der sich monatlich sammelnden Beflusung in der Einbuchtung des Bölterschen Bauch-nabels. Eine Jahresuntersuchung, die ganz gewissenhaft wie zuverlässig gemessen, verglichen und dokumentiert wurde, die ebenso eine Auswertung samt der Fragestellung einer möglichen Produktionssteigerung enthält. Eine recht wissenschaftlich wie wirtschaftlich anmutende Verfahrensweise, die in ihrer Darstellung durch Reagenzgläser und Kurvendiagramm erst recht ihren einerseits glaubwürdigen und andererseits absurd irritierenden Ausdruck findet.
Was passierte hier?
Mit einer Art dokumentierter Aktionskunst hatte der Besucher es zu tun, die jedem die Möglichkeit eröffnete, ja ihn dazu aufforderte, sich selbst zu beteiligen, um Weiteres entstehen zu lassen.
Die spärlich, dafür aber umso gezielter und effektiver in den Räumlichkeiten platzierten Objekte irritierten. Sie irritierten mit ihrem skurrilen Inhalt: Bauchnabelflusen. – Wer hätte jemals an seine eigene Bauchnabelbeflusung gedacht, noch dazu unter lateinischer Bezeichnung? Der Inhalt brach das Tabu von Körperlichkeit, von Intimität.
Doch nicht wirklich die Flusen brachen das Tabu, sondern vielmehr das Wissen um deren körperliche Herkunft. Schillernd zwischen Absurdität und Irritation wurde die normalerweise versteckt gehaltene Körperlichkeit und Intimität veröffentlicht und damit gleichsam enttabuisiert.
Zugleich setzte Bölter diese skurrile Enttabuisierung durch die gewählte lateinische Bezeichnung in die lange Tradition der Medizin. Sie legitimierte im Kontext von zuvor genannter Wissenschaftlichkeit so einiges, was sonst unaussprechlich scheint. So spiegelte die Arbeit den Betrachtern in ihrem gesellschaftlich tradierten wie ureigensten Körperverhältnis, ablesbar an ihren Reaktionen, die sich zwischen Ungläubigkeit und sogar Ekel bewegten? – Zugleich führte sie uns unseren tiefen Glauben an die Medizin, die Forschung vor, die vielerorts nach wie vor unangetastet für profundes Wissen steht – und stellte diesen Glauben massiv in Frage.
Oder war es doch  – oder: auch – ein weiteres gesellschaftliches Klischee, das der Egozentrik der Künstler, das hier abgebildet und wohl reflektiert
ins Lächerliche gezogen wurde? War es ein Verweis auf die Hinwendung zur eigenen Person, sozusagen der Blick nach Innen, der sich in unseren Breitengraden zunehmender Beliebtheit erfreut, die aber Scheuklappen aufsetzt?
Gerade mit diesem Aspekt spielte der Teil der Arbeit, der im hinteren Foyer zu sehen war. Spätestens hier blieb der Kunstbetrachter nicht mehr Konsument, sondern wurde mit seiner gewohnten Passiv-Rolle konfrontiert.
Skurril und befremdlich mutete die Aufforderung an, die eigene Bauchnabelbeflusung in Augenschein zu nehmen, oder besser gesagt: deren Absonderung. Hier war es nicht mehr nur ein Spiegel, sondern es ging um den tatsächlichen Tabubruch mit der Öffentlichkeit der eigenen Intimität. Frank Bölter versprach sich dabei umso größere Effektivität für den Erfolg der Ausstellung, je mehr ungereinigte Besucher kommen würden, da sie aufgefordert waren, ihre Bauchnabelflusen in einem auf einem Sockel postierten Glas zusammenzutragen.
Und das alles übrigens zugunsten einer Bekleidungsproduktion für die so genannte „Dritte Welt“. – Dieses formulierte Ausstellungsziel war wohl das absurdeste Moment, das zu finden war. Es troff geradezu vor Ironie hinsichtlich der Bemühungen der so genannten „Ersten Welt“ im Kontext von Wissenschaft, Medizin und wirtschaftlich gedachter Produktionssteigerung – Schlagworte, die als Erfolgsgaranten gehandelt werden. Mögliche zukünftige Sackgassen machte Bölter durch die absolute Absurdität einer solchen Bekleidungsherstellungsaktion mit Hilfe von Bauchnabelflusen bewusst, deren Bissigkeit umso mehr schockierte, dachte man an die Tatsächlichkeit der Armut.
Der Besucher wurde herausgerissen aus den sicheren Bahnen der betrachtenden Distanz, die sich gleichermaßen zwischen Kunst und Rezeption wie zwischen so genannter „Erster“ und „Dritter Welt“ etabliert hat. Ihm oblag es, den Ausstellungsbesuch und den weiteren Verlauf der Ausstellung in Quantität und Qualität aktiv mitzugestalten. Es oblag ihm, somit  bewusst am Programm der Absurdität, wie sie in Form der Aktionistenmentalität unserer so genannten „Ersten Welt“ gang und gäbe ist, – im wahrsten Sinne des Wortes – ‚mitzustricken’.
Wer weiß, wenn jeder seinen Teil dazu gegeben hätte, wär’s vielleicht doch noch ´was mit den warmen Pullis geworden?!

Hille Schwarze






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