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Julia Gröning

miese tricks

Austellungsdauer: 09.01 - 25.01.2004

Im vorderen Bereich ist das harmonische Geklimper von Weihnachtsliedern zu vernehmen. Einen Hauch von Sentimentalität – um so härter die Entdeckung, dass das harmlose Liedchen dem Körper eines hilflos über Kopf herab- baumelnden Männchens entstammt. Für das Männchen ist die Welt verdreht, sie steht auf dem Kopf.
Die Hilflosigkeit gegenüber einer solch verdrehten Weltansicht nimmt Bezug auf die drei Köpfe und die auf dem Shirt ihnen gegenüber platzierte Kleidung an der Wand. „Rebel forever“ ist aufgedruckt – doch ist der Kopf ist zu einem blinkenden Totenköpfchen zusammengeschrumpft, der restliche Körper fehlt diesem Rebellen gänzlich. An die Wand genagelt in der symbolischen Form eines Erlöserkreuzes ist dieser körper- lose Rebell in schwarz zu einem hohlen Klischee verkommen, dessen Kleidung ein jeder sich überstülpen könnte, da der Besitzer abwesend ist. Genauso abwesend sind auch die „Rebellen“, deren Abbilder an den Guerillero Ché Guevara erinnert. Abbilder, die sich so sehr etabliert haben, dass von Auflehnung kaum mehr die Rede sein kann. Im Gegenteil: Sie zeigen vielmehr die Uniformität der angeblichen Umstürzler, die sich inzwischen im Erfolg sonnen. Erfolg ist so eine von unserer Gesellschaft angestrebte Norm. Und wenn man ganz genau hinschaut, sieht man die subtile Entstellung dieser rebellischen Erfolgsköpfe, die ihnen die Verwischungen einbringen. Zudem beginnen sie sich aufzulösen. Sind sie so noch ernst zu nehmen?

Eine verdrehte Welt, in der durch Idole und Stars Orientierung geschaffen wird, die sich selbst pervertieren. Eine verdrehte Welt, in der nicht nur das farblich angepasste Männchen hilf- und orientierungslos hängt, ohne festen Boden unter seinen Füßen. – Mit ihr hat man es auf dem Weg in die Zukunft zu tun. Es deutet sich an, dass es um die individuelle Verortung inmitten von gesellschaftlichen Normen und Doppel- bödigkeiten geht.
Gefahren lauern auf diesem Weg. Die weibliche Figur am Anfang des Durchgangs, die durch ihre Haltung in den hinteren Foyerteil weist, begegnet ihnen misstrauisch: kampfbereit mit Schlaggerät und mit Schutzhelm ausgerüstet. – Oder lauert sie? So manch einer, der sich in umgekehrter Richtung bewegte, musste bereits einen gehörigen Schrecken aushalten, den ihm diese lebensechte Figur einbrachte. Der Traum vom harmonischen Weihnachtsgeklimper ist ausgelöscht.

Was erwartet den Betrachter in den hinteren Räumlichkeiten?
Eine männlich sonore Stimme in Predigermodus ertönt, leitet den Besucher – das will sie zumindest – zum Weg des Erfolges. In einem monotonen, suggestiv wirkenden Tonfall erklärt uns diese Stimme, dass sich unsere Gesellschaft zu nur 3% aus so genannten „Erreichern“, zu 10% aus „Denkern“, zu sage und schreibe 60% aus „Überlebern“ und zu satten 27% „Zweiflern“ – auch „Verlierer“ genannt – zusammensetzt. Lächerlich scheint diese Form von hierarchisch bewertender Kategorisierung, die aber zum einen das verfolgte Normen-system unserer Gesellschaft spiegelt, immer gemessen am Erfolgsrezept: „Schneller, höher, weiter – und nur das zählt!“ – Die Aufnahme entstammt übrigens einem Mitarbeitertraining eines Erfolgsunternehmens. – Zum anderen bedeutet aber auch das Erfolgssystem nichts weiter als einen Versuch, Ordnung in der Welt herzustellen, um nicht so hilflos herumzu-baumeln wie das Männchen vorn am Fenster.
Die Stimme, die Erlösung und Glück durch Erfolg verheißt, erinnert in gewisser Weise an den Versuch der Rebellen, einen Ausweg, eine Veränderung herbeizuführen, um sich aus dem Status der bloß mittelmäßigen „Überleber“ zu befreien. – Die Grenze zwischen den Rebellen und den „Erreichern“ erweist sich also als fließend.
Folgt man dieser glückverheißenden Stimme trotzdem – nur probehalber, erwartet einen noch einmal ein kurzer Schrecken an ihrem Ursprungsort, dem Aufzug. Der uns als Symbol des Erfolges oder seines Gegenteils nach oben oder aber auch ganz nach unten bringen kann, wartet eine weitere Figur auf den Betrachter: Hat man bis dahin die Fragwürdigkeit jener Glücksphilosophie noch nicht erkannt, so macht einem spätestens die Figur mit ihrem breiten Grinsen darauf aufmerk-sam. Der Kopfhörer ist von den Ohren gerutscht, die Figur scheint die Stimme des Verkünders geradezu auszulachen. Die Menschenströme sind vorstellbar, die besten Gewissens dem Vorbild des Erfolges nachfolgen – wie die Tausenden, die den Rebellenstars huldigen, – und diese Figur im Aufzug lacht sie schallend aus. Selbst im schwarzen Anzug – dem Sinnbild des geschäftlichen Erfolges – gekleidet, scheint sie diese anstrengende Odyssee schon hinter sich gebracht zu haben. Sie hat eine Papiertüte auf dem Kopf: Wer verbirgt sich dahinter? Zugleich könnte sich aber auch jeder diese Tüte überstülpen und die Position des Lachenden einnehmen. Diese Figur verweist mit ihrer schwarzen Kleidung darauf, dass alle Figuren und damit alle Möglichkeiten, die sich mit ihnen verknüpfen, in einem Boot sitzen – auf der Suche nach dem eigenen Platz. Jede von ihnen hat von der anderen etwas: Kampf, Anstrengung, den Wunsch nach Ordnung – und auch die Hilflosigkeit.
Was ist das alles? Ist das Schwarzsehertum – im wahrsten Sinne? Nein. Aber diese Ausstellung zeigt die Schwierig-keiten, die die individuelle Platzsuche in der Gesellschaft mit sich bringt.
Und dennoch herrscht überall ein spielerischer Umgang: die Hasenpuppe, die sich als Pfote aus dem Anzugärmel heraus-schleicht und lacht, das spitze Ohr, das als eine Art Verball-hornung selbst noch der Papiertüte entwächst oder möglicher-weise auch den Starbildern vorn, das Totenköpfchen blinkt – und auch das Männchen schimmert selbst durch das verein-heitlichende Schwarz hindurch noch mit seinen Farben. Ein Spiel also? Eine Belustigung über all die Ordnungsbestre-bungen und -anstrengungen, die die Arbeit von Julia Gröning durchzieht. Ein kleiner Hauch von Ironie, der über allem schwebt.



Hille Schwarze






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